Interview: Aserbaidschan schafft attraktive Investitionsbedingungen für deutsche Unternehmen

Inside Wirtschaft-Reporter Stefan Gäbler (links) hat S.E. Parviz Shahbazov (rechts) zum Interview getroffen. Der aserbaidschanische Botschafter vertritt sein Land in Deutschland bereits seit 2005. Berlin ist nicht die erste deutsche Station des gelernten Wirtschaftsingenieurs – in den 1990er Jahren war er bereits in Bonn.

Inside Wirtschaft: Herr Botschafter Shahbazov, bitte geben Sie uns einen Überblick über die Lage der aserbaidschanischen Wirtschaft.

Shahbazov: In den letzten 20 Jahren wurden in Aserbaidschan mehr als 200 Milliarden US-Dollar investiert. Natürlich ist eine Investition von 200 Milliarden Dollar für einen Staat, der von der Fläche und Bevölkerungsgröße so groß wie Österreich ist, ein großer Beitrag zur Entwicklung der Wirtschaft. Die Hälfte dieser Investitionen sind Direktinvestitionen aus dem Ausland. Ein großer Teil floss in den Öl- und Gassektor. Gleichzeitig hat das Land bewusst viel in den nicht-Energiesektor investiert. Als Erdöl- und Erdgasland haben wir das Ziel, unsere Wirtschaft weiter zu diversifizieren. Deswegen haben wir in der Vergangenheit diese Möglichkeiten genutzt und die Erlöse, die wir aus dem Energiesektor gewonnen haben, im nicht-Öl- und Gassektor investiert. Für einige Jahre waren wir das Land mit der sich am schnellsten entwickelnden Wirtschaft – die Raten lagen bei bis zu 35 Prozent. Heutzutage ist die Situation etwas anders. Trotzdem haben wir großes Potenzial. Als der Ölpreis gefallen ist – bis vor kurzem betrug dieser nur noch ein Drittel des ursprünglichen Preises -, hat dies unsere wirtschaftliche Situation für eine gewisse Zeit negativ beeinflusst. Allerdings nur für einen kurzen Zeitraum. Gleichzeitig haben wir umgehend wesentliche Reformen eingeleitet, die uns geholfen haben, größere Schwierigkeiten zu vermeiden. Deshalb war Aserbaidschan unter sämtlichen Erdöl produzierenden Staaten das am wenigsten vom niedrigen Ölpreis betroffene Land. Anderseits hat uns dies natürlich dazu bewegt, die Diversifizierung unserer Wirtschaft soweit voranzubringen, dass wir in Zukunft weniger vom Energiesektor abhängig sind. Es gab Zeiten, wann der Energiesektor einen Anteil von etwa 80% zu unserem BIP beigetragen hatte. Heute beträgt dieser nur noch 30%. Beinahe die Hälfte unserer Gewinne generieren wir mittlerweile im nicht-Energiebereich.

 

Inside Wirtschaft: Welche Bereiche sind das?

Shahbazov: Traditionell ist Aserbaidschan industrielle und landwirtschaftliche Nation zugleich. Der wichtigste Sektor, abgesehen vom Bereich Energie, ist die Landwirtschaft. Die klimatischen Bedingungen sind entsprechend gut. Natürlich benötigt auch die Landwirtschaft Investitionen. Dafür haben wir viele Möglichkeiten. Die Erlöse aus dem Energiesektor flossen und fließen in die Landwirtschaft. Die Landwirtschaft steht also an erster Stelle. Aber auch andere Bereiche wie IT oder Tourismus entwickeln sich. Petrochemie steht zwar mit dem Energiesektor in Verbindung, aber auch diese rein chemische Industrie ist ein Gebiet, das bei der Diversifizierung unserer Wirtschaft eine Rolle spielt.

 

Inside Wirtschaft: Die EU ist ein wichtiger Handelspartner für Sie. Wie haben sich diese Beziehungen in den letzten Jahren entwickelt?

Shahbazov: Die EU ist unser größter Wirtschaftspartner. Wir haben eine enge Kooperation mit nahezu sämtlichen EU-Mitgliedern. Für Deutschland beispielsweise stehen wir als Öllieferant an siebter Stelle. Wir sehen großes Potenzial darin, diese Wirtschaftsbeziehungen zukünftig noch weiter auszubauen. Einerseits exportieren wir unsere Energieressourcen in die EU, andererseits importieren wir auch viel – neue Technologien, diverse Maschinenbauprodukte, aber auch Lebensmittelprodukte. Wir werden die Beziehungen mit der EU in Zukunft mit Sicherheit noch weiter ausbauen.

 

Inside Wirtschaft: Welche Güter exportieren Sie abgesehen von Öl und Gas?

Shahbazov: Wir exportieren zurzeit vor allem landwirtschaftliche Produkte. Ich denke, auf Grund der positiven Entwicklung in diesem Bereich, wird der Exportanteil landwirtschaftlicher Produkte weiter ansteigen.

 

Wirtschaft TV: Welche Länder außerhalb Europas sind für Sie die wichtigsten Handelspartner?

Shahbazov: Andere wichtige Partner sind die Nachbarländer – Türkei, Russland. Natürlich kooperieren wir wirtschaftlich ebenso mit den weiteren Nachbarländern Iran oder Georgien. Durch das Kaspische Meer kooperieren wir auch eng mit den zentralasiatischen Ländern. Für die Weiterentwicklung der Beziehungen mit diesen Ländern, insbesondere derer, die auf der Seidenstraße oder der Nord-Süd-Achse liegen, haben wir viel zur Entwicklung der Transportinfrastruktur beigetragen. Die Ergebnisse werden demnächst erkennbar sein. Seit einigen Jahren arbeiten wir an der Bahnstrecke zwischen Aserbaidschan und der Türkei durch Georgien – Baku-Tbilisi-Kars. Das ist der fehlende Teil der Seidenstraße, die Asien und Europa verbindet. Gleichzeitig haben wir eine Schiffflotte im Kaspischen Meer, die die Transportmöglichkeiten ergänzt. Wir haben eine moderne Hafenanlage in der Nähe von Baku gebaut.

 

Inside Wirtschaft: Kommen wir auf die Handelsbeziehungen zu Deutschland zu sprechen. Wie haben sich diese in letzter Zeit entwickelt?

Shahbazov: Schon immer pflegen wir gute Wirtschaftsbeziehungen zur Bundesrepublik Deutschland. Fast 80% des gesamten Handelsvolumens Deutschlands mit der Region Südkaukasus fällt auf Aserbaidschan. 2012 hat Deutschland in Aserbaidschan, wenn wir die ehemaligen sowjetischen Territorien betrachten, in Baku, nach Russland, die zweite Handelskammer eröffnet. Das heißt, die deutsche Seite sieht Potenzial in Aserbaidschan. Diese Entscheidung, die Handelskammer zu eröffnen, hat einen großen Beitrag zur weiteren Entwicklung unserer wirtschaftlichen Bezüge geleistet. Zurzeit haben wir etwa 170 deutsche Unternehmen, die in Aserbaidschan tätig sind. Während des letzten Besuchs unseres Staatspräsidenten Ilham Aliyev auf Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Berlin, wurde ein deutsch-aserbaidschanisches Wirtschaftsforum mit Teilnahme unseres Präsidenten sowie des deutschen Vize-Kanzlers und Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel durchgeführt. Deutsche Unternehmen haben ein gigantisches Interesse daran gezeigt. Auch über 60 aserbaidschanische Unternehmen waren vertreten. Als Follower Up erwarten wir zahlreiche Reisen von Wirtschaftsdelegationen nach Aserbaidschan.

 

Inside Wirtschaft: Welche deutschen Branchen waren hier vertreten?

Shahbazov: Das war ein breites Spektrum. In Aserbaidschan haben wir in den letzten Jahren viele Infrastrukturprojekte initiiert. Im Bereich Straßenbau, Elektrizität, Wasser, Bewässerung, Städtebau usw. Daran sind bereits deutsche Unternehmen beteiligt und wir möchten noch weitere hinzugewinnen. Durch Wirtschaftsreformen haben wir in unserem Land attraktive Investitionsbedingungen geschaffen. Unternehmen können in Aserbaidschan günstig produzieren sowie ihre Produkte von hier aus in der Region vermarkten. Wir sehen ein starkes Interesse deutscher Unternehmen.

 

Inside Wirtschaft: Welche aserbaidschanischen Unternehmen haben an der Konferenz teilgenommen?

Shahbazov: Vertreten waren Unternehmen aus vielen Bereichen z.B. Petrochemie, IT, Baubereich, Elektrotechnik, Medizintechnik aber auch Touristik. Im Forum wurden auch sieben MOUs und andere Dokumente über die Zusammenarbeit zwischen aserbaidschanischen und deutschen Unternehmen unterzeichnet. Darunter auch eine Absichtserklärung über die Entwicklung des beruflichen Bildungssystems in Aserbaidschan.

 

Wirtschaft TV: Häufig sind MOUs Unverbindliche Vereinbarungen. Können Sie schon von erfolgreichen Abschlüssen berichten? Welche Impulse erhoffen Sie sich noch vom Besuch Ihres Präsidenten?

Shahbazov: Besuche dieser Art spielen eine große Rolle. Von ihnen gehen beidseitig wirtschaftspolitische Signale bezüglich der Intensivierung der Beziehungen aus. Ich bin sicher, dass es positive Ergebnisse geben wird.

 

Inside Wirtschaft: Lassen Sie uns über das Thema Öl sprechen. Im April hat es ein Treffen in Doha gegeben, dass nicht ganz so verlaufen ist, wie von vielen im Vorfeld erhofft. Es hat keine Einigung im Streit im den Ölpreis gegeben. Iran und Saudi-Arabien sind abgesprungen und auch Indonesien hat verlauten lassen, dass es so keine Einigung geben wird. Wie geht es nun weiter und welche Konsequenzen hat das für Ihr Land? Eingangs haben Sie schon angedeutet, dass sich die negativen Folgen in Grenzen halten, trotzdem ist die Situation natürlich auch für Sie wenig erfreulich.

Shahbazov: Da haben Sie Recht. Wenn sich der Ölpreis um nur einen Dollar verändert, bedeutet das eine Veränderung von hunterten Milliarden Dollar für die großen Ölverbraucher. Man sollte meinen, dass der niedrige Ölpreis den Handel und die Entwicklung antreibt, allerdings ist das nicht geschehen. Keiner, weder Produzenten noch Lieferanten oder Verbraucher, konnte dieser Situation etwas abgewinnen. Das zeigt, dass künstlich niedrige oder hohe Preise nicht gut sind. Für Öllieferanten wäre es von Vorteil, reale und stabile Preise zu haben, ohne starke Volatilität. Alle Seiten würden davon profitieren. Zum Doha-Treffen und der OPEC-Vereinbarung: Wir haben gesehen, es war nicht einfach, sich zu einigen. Die jeweiligen Länder haben natürlich eigene Interessen und möchten Preise nicht verändern, um Kunden nicht zu verlieren. Trotzdem sehen wir einen Anstieg des Ölpreises auch ohne derartige Vereinbarungen, was uns natürlich freut. Sie sehen, dass der Ölpreis sich heute bei 50 Dollar befindet, obwohl wir in unserer Staatshaushaltsplanung mit 25 Dollar gerechnet hatten. Für unsere Wirtschaft ist das natürlich von Vorteil. Unser Ziel ist aber, die Diversifizierung unserer Wirtschaft soweit voranzutreiben, dass wir von Ölpreisen unabhängig sind. Bis 2020 möchten wir den BIP-Anteil des Energiesektors auf 20 Prozent senken. Unsere Akzentuierung liegt auf dem nicht-Energiebereich. Gleichzeitig halten wir uns auch unabhängig von den zurzeit niedrigeren Ölpreisen an unseren großen Energieprojekten fest. Ein Megaprojekt ist der Südliche Gaskorridor, der Gas aus dem Kaspischen Meer nach Südosteuropa liefern wird.

 

Inside Wirtschaft: Einige Projekte haben schon angesprochen, interessant wäre zu erfahren, welche Projekte Sie noch für die Zukunft geplant haben. Geben Sie uns einen Ausblick auf die kommenden Jahre.

Shahbazov: Wie gesagt, wir bauen zurzeit aktiv den Südlichen Gaskorridor mit auf, in dessen Rahmen wir in vier Megaprojekte investieren: in die Gasförderung im Shah Däniz 2 Gasfeld im Kaspischen Meer, den Bau der südkaukasischen Pipeline, den Bau der transanatolischen Pipeline durch die Türkei und den Bau der transadriatischen Pipeline. Bei diesen Projekten spielt Aserbaidschan jeweils die größte Rolle. Bis 2019 werden diese Projekte abgeschlossen sein und von da an werden wir die Erlöse erhalten. Und die Wirtschaftsreformen, die wir angesichts des niedrigeren Ölpreises weiter intensivieren mussten, werden sich sicherlich bald  auszahlen. Diesen Prozess, der zum Teil auch schwierig ist, haben wir begonnen und unsere Wirtschaft wird schon 2016 leicht wachsen. Für das Jahr 2017 erwarten wir ein stärkeres Wachstum.

 

 

Foto: Inside Wirtschaft

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MANUEL KOCH
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